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Fachkräftemangel und Rahmenbedingungen in der Eingliederungshilfe: Verbände schlagen Alarm

Anlässlich der katastrophalen Situation in Einrichtungen der Eingliederungshilfe schlagen die Lebenshilfe, der Landesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (lvkm-sh) und der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband in Schleswig-Holstein Alarm. Die Verbände dringen auf schnelles Handeln der Politik, da Angebote an manchen Orten nicht mehr aufrechterhalten werden können.

Die Arbeitsbedingungen in der Eingliederungshilfe verschlechtern sich seit Jahren deutlich. Gerade in Wohnangeboten sind die Arbeitszeiten vergleichsweise unattraktiv. Menschen mit Beeinträchtigung gehen häufig einer Tätigkeit in einem zweiten Lebensbereich nach, wie z.B. einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Assistenzleistungen werden daher am Morgen, am Abend, am Wochenende, bei Krankheit und im Urlaub benötigt und dementsprechend erfolgt der Personaleinsatz – Arbeitszeiten im Schichtdienst, die für viele Arbeitnehmende, die bei zunehmendem Fachkraftmangel die Wahl haben, nicht mehr in Frage kommen. Hinzu kommen die zunehmende Komplexität der Assistenzleistung sowie die vorwiegend schulische Ausbildung der Heilerziehungspfleger*innen ohne regelhaftes Ausbildungsentgelt.

„Die Folgen sind, dass bereits jetzt kleinere quartiersnahe Wohnangebote aus unserer Mitgliedschaft nicht mehr wissen, wie sie einen verbindlichen Dienstplan sicherstellen und aufrechterhalten können.“ so Michael Saitner, Vorstand des PARITÄTISCHEN SH. „Vor diesem Hintergrund sehen wir mit Sorge in die Zukunft, die sich mit dem BTHG, also mit dem Ziel einer selbstbestimmten, gleichberechtigten und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft, eigentlich verbessern sollte.“

Die Lebenshilfe Schleswig-Holstein und der Landesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (lvkm-sh) beraten und begleiten Familien und Menschen mit Behinderung seit Jahrzehnten und sehen das System vor dem Kollaps.

Alexandra Arnold, Geschäftsführerin der Lebenshilfe SH: „Es gibt Einrichtungen, die ihre Angebote bereits einstellen mussten, weil sie nicht mehr wirtschaftlich agieren können. Stellen bleiben durch den Fachkräftemangel unbesetzt. Dadurch fehlen immer mehr Kräfte, z.B. in familienunterstützenden Diensten, der Interdisziplinären Frühförderung, in Kurzzeitpflegeangeboten oder der Autismus-Beratung. Insbesondere in ländlichen Räumen ist das ein riesiges Problem. Ambulante Dienstleistungen werden z.B. vom Kostenträger nur bezahlt, wenn sie auch geleistet werden – bei den aktuell hohen Krankenständen bricht es den Trägern an diesen Stellen dann über Kurz oder Lang finanziell das Genick. Und das ist nur eine der vielen Baustellen.“

Ilka Pfänder, Geschäftsführerin des lvkm-sh, berät insbesondere betroffene Familien: „Was wir tun, ist eine Beratung in der Mangelwirtschaft. Weil es mittlerweile an allen Ecken und Enden an Unterstützung und Assistenz fehlt, haben Eltern wieder häufiger ihre Kinder zuhause und können teilweise nicht ihrer Berufstätigkeit nachgehen. Fakt ist: Die Sozialwirtschaft bricht nach und nach zusammen.“

Die Verbände erinnert diese Situation an ihre Gründungsjahre in den 1950/60er Jahren. Insbesondere Mütter können nicht mehr ihren Berufen nachgehen, da sie ihre Kinder mit Behinderung zuhause versorgen müssen. Bei Kindern mit einem 24-Stunden-Betreuungsbedarf ist es nicht mit einem einzigen Antrag getan, die Eltern müssen sich lebenslang kümmern und Expert*innen für so gut wie alles werden – von der gesetzlichen Betreuung bis zur passgenauen Pflege. Was bleibt, sind überforderte Familien. Dies sind keine Einzelfälle, sie leiden alle an einem unterfinanzierten System.

„Wir sehen die Vielfalt der Träger und damit die individuelle Begleitung und Betreuung von Menschen mit Behinderung sowie die Entlastung von Familiensystemen in akuter Gefahr. Die Einrichtungen stehen vor dem Paradoxon, dass personenzentrierte Versorgung zwar gewünscht, aber nicht leistbar ist. Die Politik entzieht sich hier jeglicher Verantwortung, es muss dringend etwas passieren!“ so Michael Saitner abschließend.