Wohnarmut in Schleswig-Holstein: Ferienwohnungen boomen, bezahlbarer Wohnraum fehlt
Schleswig-Holstein ist von Wohnarmut stärker betroffen als der Bundesdurchschnitt. Nach dem neuen Wohnarmutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands leben 22,4 Prozent der Menschen im nördlichsten Bundesland in Wohnarmut – bundesweit sind es 22,3 Prozent. Entscheidend ist: Erst durch die Berücksichtigung der realen Wohnkosten werden die tatsächlichen finanziellen Spielräume vieler Haushalte sichtbar. Bundesweit gelten damit 18,4 Millionen Menschen als arm, 5,4 Millionen mehr als in der bisherigen Armutsstatistik ausgewiesen wurden.
Besonders betroffen sind junge Erwachsene, ältere Menschen sowie Familien mit mehreren Kindern. Bei Erwachsenen zwischen 18 und unter 25 Jahren liegt die Wohnarmutsquote bei 31,2 Prozent, bei den über 65-Jährigen bei 28,8 Prozent. Paarfamilien mit drei und mehr Kindern sowie Alleinerziehende weisen überdurchschnittlich hohe Wohnarmutsquoten von 31,2 bzw. 40,1 Prozent auf. Damit bestätigt sich auch für Schleswig-Holstein: Steigende Wohnkosten treffen vor allem diejenigen, die ohnehin wenig Spielraum haben – zu Lasten von Bildungs- und Teilhabechancen der Kinder und der Lebensqualität im Alter.
„Schleswig-Holstein ist gleichzeitig Flächenland und Tourismusland. Diese Kombination verschärft die Wohnungsnot vor Ort“, betont Michael Saitner, geschäftsführender Vorstand des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein. „In vielen Küstenorten und beliebten Regionen erleben wir, dass immer mehr Wohnungen in Ferienapartments umgewandelt werden, während für Einheimische bezahlbare Mietwohnungen fehlen. Wenn Wohnraum zur Renditeanlage und zum Feriengut wird, aber nicht mehr als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden wird, dann verlieren wir Erzieher*innen, Pflegekräfte, Verkäufer*innen und viele andere, die unsere Gemeinden am Laufen halten. Land und Kommunen müssen die Nutzung als Ferienwohnung konsequent in den Blick nehmen, regulieren und dafür sorgen, dass wieder mehr dauerhafter Wohnraum für die Menschen vor Ort zur Verfügung steht“, so Michael Saitner.
Die Folgen dieser Entwicklung sind bereits spürbar. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Insel Sylt: Viele Einheimische können sich die dortigen Mieten nicht mehr leisten. Das wirkt sich direkt auf die Daseinsvorsorge aus. Auch in den städtischen Zentren wie Kiel, Lübeck und Flensburg ist der Druck enorm. Die Städte sind gleichermaßen beliebte Tourismusziele und Hochschulstandorte; Wohnraum wird zum knappen Marktgut, obwohl er zur Grundversorgung gehört. Das trifft insbesondere junge Menschen in Ausbildung und Studium sowie Haushalte mit Kindern.
Der Verband fordert, die Wohnsituation systematisch in allen Kommunen zu erfassen, um den Ist-Stand präzise zu kennen, geeignete Maßnahmen zu prüfen und passgenaue Lösungen zu entwickeln. Dazu gehören eine konsequente Sozialwohnungs- und Gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik, die Stärkung einer neuen Wohngemeinnützigkeit und verstärkte Investitionen in sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbau. Zugleich braucht es kommunale und landesrechtliche Instrumente, um Zweckentfremdung zu Ferienwohnungen zu begrenzen, touristisch genutzte Wohnungen besser zu regulieren und dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu sichern.
Denn hohe Wohnkosten sind zu einem zentralen Armutstreiber geworden. Sie treffen längst nicht nur Menschen ohne Erwerbsarbeit, sondern auch Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende und Auszubildende. „Wohnen ist kein Luxus, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge“, so Michael Saitner. „Wenn wir verhindern wollen, dass gerade junge und ältere Menschen sowie kinderreiche Familien weiter abgehängt werden, brauchen wir eine soziale Wohnraumwende – auch und gerade in unserem Tourismusland Schleswig-Holstein.“